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Normalerweise wäre ich jetzt wieder ewig still, bevor ich wieder was schreibe, aber bevor ich die Zeit vergesse: Ja, natürlich ist alles gut gegangen.
Wir durften sogar einen Tag früher die Düse machen, als erwartet.
Dafür haben wir uns ja auch mächtig ins Zeug gelegt und bereits in der ersten Nacht unsere Mithäftlinge aus dem Krankenzimmer gemobbt. Bzw.: Sie wurden evakuiert. In einen Notraum, quasi eine Abstellkammer. Aber alles ist besser, als mit diesem Kind in einem Raum die Nacht zu verbringen.
Dabei ging es eigentlich noch. War schon mal schlimmer. Er hat niemanden gebissen und auch seinen Kopf nicht an den Gitterstäben angeschlagen. Ich finde, das sollte man auch mal würdigen. Er hat nur gekrächzt, ein bisschen geweint, seine Hand durch die Gitterstäbe gesteckt, dem Nachbarkind das Kuscheltier geklaut, alle Gegenstände aus dem Gitterbett geworfen und an den Kabeln gespielt. Mehr nicht.
Nur das Gepiepe wegen den Atemaussetzern war halt nervig. Und sein Aufschrecken aus dem Schlaf, aber das kennen wir ja schon. Ersteres kannten die Krankenschwestern nicht, jedenfalls nicht mehr so genau. Und verfielen in einen bewundernswerten Aktionismus. Um 1 Uhr nachts war der kleine Große dann so müde, dass er sich nicht mal mehr die Mühe gemacht hat, die Maske mit dem Sauerstoff runterzureißen. Was uns dann doch noch 2-3 Stunden Schlaf beschert hat.

Am nächsten Tag bei der Chefvisite schaffte es der Herr Oberchefarzt aka „der Bestimmer“ (Mädchen: „Wie heißt du?“ – Herr Doktor: „Ich bin hier der Bestimmer!“), jeglichen Aktionismus im Keim zu ersticken. Womit er wohl nicht ganz unrecht hat, wir haben ja auch schon einiges durch . Dafür hatte er eine andere glorreiche Idee und wollte Tropfen testen, die den Atemantrieb steigern. Diese Tropfen steigerten allerdings nicht nur den Atemantrieb.
Sie machten ihn zu einem Duracell-Häschen. Ich habe dieses Kind noch nie SO in Aktion gesehen!
Was fantastisch gewesen wäre, hätte er in der Nacht auch nur 5 Minuten geschlafen.
So aber wirkte er wie ein verhaltensauffälliger ADHS-Kanditat, der an alles mögliche dachte, aber mit Sicherheit nicht ans Schlafen. Erst 24 Stunden später hat er dann zur Ruhe gefunden.
„Vielleicht versuchen wir es nächste Nacht mal mit der halben Dosis“, meinte die Ärztin schlussfolgernd.
(Notiz an mich selbst: vor der nächsten Party Tropfen einschmeißen und durchmachen)

Ansonsten gab es die üblichen Ärgernisse: Das Kind wurde drei Mal gestochen, um den Zugang gelegt zu bekommen, der am Tag der OP schon nicht mehr durchgängig war und neu gelegt werden musste. Aber das kannten wir ja auch schon.
Und dann konnten wir auch schon heim.
Für das Tropfenrezept mussten wir nochmal zum Kinderarzt, weil im Krankenhaus vergessen wurde die Versichertendaten auf das Rezept zu drucken. Dort habe ich dann noch den ganzen Verkehr aufgehalten, weil ich übergangsweise noch Spritzen brauchte, die auf das neue Sondensystem passen. Eine halbe Stunde später wurde dann irgendwas bestellt. Was Falsches, wie sich im Nachhinein herausstellen sollte, aber das machte nichts, weil am gleichen Tag dann doch schon die Lieferung mit dem neuen Zubehör gekommen ist. Die wiederum auch teilweise in der falschen Größe geliefert wurde. Hachja, das übliche Chaos also.

Der Schatten der Vergangenheit

 

Ich schlafe schlecht. Oberflächlich, wie auf Gefechtsstation. Ein Ohr offen, abwartend. Beunruhigt. Wache auf, kann nicht mehr einschlafen. Fühle eine bleierne Traurigkeit.
Sehe auf den Körper neben mir, suche Nähe. Aber es hilft mir nicht.
Ich werde unruhig. Wühle mich durchs Bett. Will lesen, dann fernsehen, dann wieder Ruhe.
Ich überlege, was los ist.
Achso. Die Sache mit dem Verdrängungsmechanismus. Klappt nicht so ganz.
Am Dienstag geht es also wieder ab ins Krankenhaus.
Wechsel des Sondensystems. Nicht des Sonnensystems, wie ich meiner Mutter irrtümlich erzählt hatte, da WhatsApp es in seiner unendlichen Weisheit korrigiert hat. Nein, nur ein schlichter Wechsel des Sondensystems. Wir kommen einen Tag vor der OP und danach bleibt er noch zwei Nächte zur Beobachtung. Alles ganz easy. Ein Routine-Eingriff, keine große Sache.
Da geht nichts schief, da kann gar nichts schief gehen, die Wahrscheinlichkeiten sind zu gering, minimal.
Aber irgendwie dachte ich das schon mal.
Ich hatte schon mal einen Plan, eine Vorstellung von dem, was wie laufen sollte.
Und dann hat man auf einmal ein lebloses Kind im Arm und versucht es zu wecken und zum Atmen zu bringen. Man denkt an den erste Hilfe Kurs für Kinder und die Ratschläge, die uns mitgegeben wurden, als seine Atemaussetzer erstmals bekannt wurden. Man versucht es mit Reizen, notfalls auch mit stärkeren Reizen zu wecken, reibt über den Körper, übt Druck aus, spricht mit dem Kind. Man spricht ins Ohr, sagt ihm, es soll aufwachen. Dann denkt man sich: Das ist ja gar nicht mein Kind. Mein Kind ist lebendig, mein Kind bewegt sich, macht sich manchmal steif wie ein Brett, aber das hier, was ich gerade in meinen Armen halte, hat überhaupt kein Leben, keine Anspannung in sich. Das hier ist eine Puppe, eine schlechte Kopie meines Kindes. Das hier ist NICHT mein Kind.
Und man wundert sich, was passiert, wie das geschehen konnte. Warum man nicht wach wird aus diesem Albtraum, warum man gefangen bleibt in diesen Bildern. Wie konnte es geschehen, dass die Realität sich so verschoben hat?
Man steht neben sich und glaubt es nicht.
Aus dem „Ich muss irgendetwas tun“ wird ein „Ich kann nichts mehr tun“.
Ich kann nur noch zusehen, wie die Menschen um das Bett meines Sohnes herumstehen und versuchen sein Leben zu retten. Als ob du in einem Film bist. Nur noch Zuschauer, kein Akteur.
Und dann fällt der Vorhang und die Gewissheit überkommt dich: Das hier IST die Realität.

Die Gedanken, die Bilder, alles verstaut, verpackt in einem inneren Album. Welches sich nun in die Psyche gräbt und nichts von dem damaligen Schmerz vermissen lässt.

„Ich bin für dich da“, sagt er und dass ich ihn anrufen kann und soll, jederzeit. Und wenn er nicht gleich rangehen kann, dann ruft er mich sofort zurück und er kommt auch vorbei, wenn ich ihn brauche. Aber es wird schon alles gut und ich soll nicht traurig sein. „Ja“, sage ich und „Ich weiß.“
Und ich weiß, ich sollte mich besser fühlen, aber irgendwie tue ich es nicht.

Die Nächte dort… an die möchte ich auch nicht denken. Der Große schläft schon eh mehr als bescheiden und dann noch die Geräte, die die ganze Nacht lang piepsen. „Eine Nacht halte ich das aus“, sage ich zu meinem Ex. Dann müssen wir gucken. Ich kann nicht gut mit Schlafmangel umgehen, konnte ich noch nie. Eine schlaflose Nacht, dann bin ich schon Zombie genug. Aber dann ist die OP vorbei und das schlimmste überstanden und dann müssen wir mal gucken, ob die über Nacht mit ihm klarkommen.

Mir ist schwindelig.
Freitag ist alles vorbei, denke ich. Und: Wenn doch nur schon Freitag wäre.
Ich schreibe meiner Mutter also kurz, dass wir Dienstag ins Krankenhaus gehen.
„Wird ja hoffentlich alles gut gehen“, schreibt sie.
„Ja, ist ja Routine eigentlich“, schreibe ich zurück.